Xenos

 

 

 

Mein Name ist Xenos, und das bedeutet auf Griechisch Fremder, denn eigentlich stamme ich von der griechischen Insel Santorin, aber ich lebe jetzt in Deutschland.

 

Meine Katzenmama Laura war im letzten Jahr anlässlich einer Klassenfahrt hier. Zwei Tage bevor es zurück nach Hause gehen sollte, hat sie mich in der Nähe des Hafens gefunden. Sie war mit ihren Freundinnen unterwegs, und die Mädels haben mich mitgenommen. Natürlich durften sie das eigentlich nicht, aber ich habe so jämmerlich gemaunzt, dass sie gar nicht anders konnten, so hat sie es ihren Eltern jedenfalls erzählt. Die beiden Lehrerinnen, die bei dieser Tour dabei waren, durften auch nicht wissen, dass ich mitkommen sollte nach Deutschland, daher haben die Mädchen mich in ihrem Zimmer versteckt und mir heimlich etwas zum Fressen gebracht. Dann hat Laura mich in ihrer großen Strandtasche mit in den Bus geschmuggelt und die später am Flughafen als Handgepäck mit in den Flieger genommen. Zum Glück wurde die Tasche dabei nicht kontrolliert. Ich war viel zu kaputt um zu protestieren. Außerdem hatte ich Angst und war schon deshalb ganz still.

 

Au Weia, das hätte schiefgehen können, hat ihr Papa gesagt, als wir zuhause waren. Aber daran will ich lieber gar nicht erst denken, schließlich hat es ja geklappt. Jedenfalls waren alle in der Familie ganz schön überrascht über das lebendige Souvenir, das Laura ihnen aus Griechenland mitgebracht hat. Aber ich durfte bleiben und das ist entscheidend.

 

Als Laura mit mir wieder zuhause war, sind ihre Eltern erst mal mit mir zur Tierärztin gefahren. Die hat mich regelrecht auseinander genommen, so gründlich hat die mich untersucht. Sie hat gemeint, dass ich erst einige Monate alt sein könnte, allerhöchstens ein Jahr. Mag sein, das weiß ich nicht, und es spielt auch keine Rolle. In der Gegend, in der ich geboren wurde, fragt niemand danach. Bei der Untersuchung hat die Ärztin natürlich schnell festgestellt, dass ich ein Kater bin. Das hätte ich ihr gleich sagen können, aber mich hat ja keiner danach gefragt. Nachdem Laura das wusste, hat sie mir den Namen Xenos gegeben. Auf unserer Insel haben die Fischer uns wild lebenden Katzen aus Mitleid mal ein paar  Fischreste hingeworfen. Aber sonst mussten wir uns meistens selbst versorgen, deshalb war ich schon ziemlich entkräftet, als Laura mich aufgestöbert hat. Wenn ich es recht bedenke, war das eigentlich mein Glück. Die Tierärztin hat mir als Erstes eine Vitaminspritze zur Stärkung verpasst, mir auch sofort eine Wurmkur eingetrichtert und mich anschließend am ganzen Körper eingesprüht - gegen die Flöhe und Zecken. Aber jetzt bin ich clean, weil ich ein Halsband erhalten habe, das mich gegen Ungeziefer schützt. Die Wurmkur muss ich ab jetzt auch regelmäßig fressen. Sie versuchen mich immer damit zu überlisten und drücken die Pille in Thunfisch, weil sie wissen, dass ich den besonders gern mag. Manchmal tue ich so, als ob ich das nicht merken würde und schlinge sie einfach mit hinunter. Aber wenn ich etwas mehr von dem leckeren Zeug möchte, dann fresse ich die Wurmkur erst beim zweiten Versuch auf.

 

Übrigens hatte die Ärztin auch vorgeschlagen, dass sie mich kastrieren lassen sollten, wenn ich mich ein wenig erholt hätte. Aber es gibt nebenan eine süße Nachbarskatze, die ist kurz vor mir hier eingezogen und ist auch noch sehr jung. Sie heißt Flöhchen und war unerwartet schon das erste Mal rollig. Wir hatten eine kurze Begegnung, und es hat gleich geklappt – sie ist trächtig geworden. Fünf süße, kleine Katzenbabys hat sie bekommen, eines niedlicher als das andere kann ich nur sagen. Zwei sind schwarzweiß gefleckt, wie die Mama, eines ist grau getigert mit weißen Pfötchen, und zwei sind nachtschwarz, so wie ich. Wir beide sind mächtig stolz auf unseren Nachwuchs, und zwei davon sind schon den Freundinnen von Laura versprochen. Für die anderen Kitten wird sie bestimmt auch noch ein schönes Zuhause finden. Aber nun haben unsere beiden Familien für Flöhchen und mich gemeinsam einen Termin bei der Tierärztin gemacht.

 

„Damit das nicht noch mal vorkommt“, hat Laura´s Papa gesagt, „sonst müssen wir am Ende noch für die Eskapaden von Xenos Alimente zahlen!“

 

Was er damit gemeint hat, das habe ich nicht so recht verstanden, und zu der Tierärztin gehe ich auch nicht sonderlich gern, aber das muss wohl sein, fürchte ich. Laura´s Papa hat dabei so komisch gegrinst, deshalb kann uns da wohl nichts allzu Schlimmes erwarten, hoffe ich jedenfalls.

 

Ob ich meine ursprüngliche Heimat vermisse? Ab und zu schon, denn da war es meistens schön warm, während wir hier öfter graues und ungemütliches Wetter haben, aber da ich ja nun nicht mehr auf der Straße lebe, macht mir das wenig aus. Außerdem habe ich ja jetzt meine Familie und Flöhchen. Als Fremder fühle ich mich schon lange nicht mehr, und an meinen Namen habe ich mich auch gewöhnt. Aber das Allerwichtigste für mich ist - Flöhchen findet ihn sehr schön!

 

 

Opa

 

 „Alle meine Freunde haben eine Oma und einen Opa, warum habe ich niemanden?“, quengelte Adrienne weinerlich. „Und ein Haustier darf ich hier auch nicht haben.“

 

„Das habe ich Dir doch schon so oft erklärt“, seufzte ihre Mutter traurig.

 

„Meine Eltern sind sehr früh gestorben und die von Papa leben leider auch nicht mehr.“

 

Sie wusste, ihre Tochter hätte gern Großeltern gehabt, aber die konnte man ja leider nicht so einfach aus dem Hut zaubern. Frau Frenzel von gegenüber hatte sich vor Kurzem erboten, gelegentlich auf Adrienne zu achten, und sozusagen als Ersatzoma zu fungieren. Seitdem ihr Mann vor einigen Monaten, nach langer Krankheit, verstorben war, fühlte sie sich sehr einsam, so hatte sie gesagt. Vielleicht sollte sie dieses nette Angebot doch annehmen, denn sie und ihr Mann mochten die sympathische Frau Frenzel gern. Nachdem ihre kleine Tochter diesen Wunsch zum wiederholten Male geäußert hatte, schlug sie ihr vor, es mit dieser „Ersatzoma“ zu versuchen. Adrienne war begeistert von dieser Idee und rannte gleich zu Frau Frenzel hinüber.

 

„Möchtest Du meine Oma werden?“, fragte sie treuherzig.

 Die alte Dame lachte fröhlich und antwortete:

 „Aber klar möchte ich das!“

Seitdem verbrachten Adrienne und ihre neue Oma viel Zeit zusammen. Nur ein Opa, der fehlte Adrienne immer noch. Und da hatte ihre neue Oma eines Tages eine tolle Idee.

 

„Bevor mein Mann so krank wurde, hatten wir immer eine Katze. Was hältst Du davon, wenn wir mal ins Tierheim fahren und uns einen Kater aussuchen. Den könntest Du Opa nennen“, schlug sie vor.

 

Nachdem sie allein war, hatte sie ohnehin schon häufiger darüber nachgedacht, sich erneut ein Tier ins Haus zu holen, damit sie sich nicht so verlassen fühlte

 

Von diesem Einfall war die Kleine sofort hellauf begeistert. „Aber könnte der dann bei Dir wohnen?  Mama sagt immer, unsere Wohnung ist zu klein für ein Haustier“, fragte sie.

 

„Na klar. Außerdem ist es für Katzen ohnehin das Beste, wenn sie auch nach draußen können, das ist bei mir kein Problem. In unserer kleinen Straße fahren ja zum Glück nicht so viele Autos. Trotzdem kann es passieren, dass eine Katze angefahren wird oder sich im Kampf mit einer anderen verletzt. Dann darfst Du nicht traurig sein, das musst Du mir versprechen“, ermahnte Frau Frenzel die Kleine. Sie hatte schon mehrere

 

Katzen gehabt und wusste nur zu gut, wie sehr sie jedes Mal geweint hatte, wenn eine von ihnen über die Regenbogenbrücke gegangen war.

 

Adrienne war ein Einzelkind und für ihr Alter sehr vernünftig, wie Frau Frenzel schon öfter festgestellt hatte.

 

„Komm, wir fragen Deine Eltern, was sie davon halten“, sagte sie und ging mit Adrienne hinüber. Wie nicht anders zu erwarten, fanden ihre Eltern  diese Idee auch gut.

 

„Sind Sie sicher, dass sie das nicht nur für Adrienne tun wollen? Mit so einem Tier sind Sie doch sehr ans Haus gebunden und es entstehen ja auch Kosten“, fragte Adrienne´s Vater zweifelnd.

 

„Darüber machen Sie sich keine Sorgen. Natürlich habe ich gründlich darüber nachgedacht, bevor ich Adrienne das vorgeschlagen habe. Ich hätte wirklich gern wieder eine Katze, und ich bin sicher, dass es Adrienne Freude machen wird, die mit mir zusammen auszusuchen“, versicherte Frau Frenzel.

 

„Aber dann müssen Sie uns zumindest erlauben, uns an den Futter- und eventuellen Tierarztkosten zu beteiligen“, regte Adrienne´s Mutter an.

 

„Fürs Erste wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn sie mit uns beiden ins Tierheim fahren würden, damit

 

wir uns einen Kater aussuchen können“, bat Frau Frenzel.

 

„Natürlich gern, das ist doch selbstverständlich“, antwortete Adrienne´s Vater.

 

Auf Drängen von Adrienne wurde beschlossen, gleich am nächsten Tag, es war ein Samstag, dorthin zu fahren. Als sie vor dem Tierheim hielten, klopfte ihr Herz zum Zerspringen.

 

„Meinst Du, wir finden einen Kater, der uns allen gefällt?“, fragte sie ihre Mama.

 

„Bestimmt!“, beruhigte die ihre Tochter.

 

Dann klingelten sie und wenig später öffnete sich das Tor. Eine sehr freundliche junge Dame kam ihnen entgegen und fragte nach ihren Wünschen.

 

„Ich möchte mir einen Opa aussuchen“, rief Adrienne.

 

Die Mitarbeiterin des Tierheims lachte.

 

„Sie meint natürlich, wir hätten gern einen Kater, aber der soll eventuell so heißen“, stellte ihr Vater klar.

 

„Ach so, und wie soll Dein Opa aussehen?“, wurde sie gefragt.

 

Adrienne zuckte ratlos die Schultern.

 

„Na, dann kommt Ihr am besten mal mit“, forderte die junge Frau sie auf und ging voraus in das Katzenhaus. Sie zeigte auf verschiedene Katzen, und nannte ihnen deren Namen, die sie hier im Tierheim erhalten hatten.

 

„Aber natürlich kannst Du Deinen Kater zuhause umtaufen. Er wird sich bestimmt auch an einen anderen Namen gewöhnen“, erklärte sie.

 

Einige Katzen beachteten die Besucher kaum, andere strichen ihnen um die Beine und schnurrten. Aber in einer Ecke des Raumes saß ein Tier ganz allein, das sofort die Aufmerksamkeit von Frau Frenzel erregte.

 

„Ist das eine Katze oder ein Kater?“, fragte sie.

 

Adrienne hatte sich ja einen Kater gewünscht, aber notfalls würden eben zwei Katzen bei ihr einziehen, das beschloss sie im selben Moment, in dem sie dieses arme so traurig dreinblickende pechschwarze Geschöpf zu Gesicht bekommen hatte.

 

„Das ist Felix. Er ist ein Einzelgänger, aber wenn er sich erst an seine Menschen gewöhnt hat, dann wird er sehr bestimmt sehr anhänglich“, hieß es.

 

Frau Frenzel wurde blass. Felix, das war der Name ihres verstorbenen Mannes; was für ein seltsamer Zufall, dachte sie.

 

„Magst Du Felix und könntest Du Dir vorstellen, ihn mitzunehmen“, fragte sie Adrienne mit zitternder Stimme und hielt vor Spannung fast den Atem an. Nach ihrem Eindruck fühlte sich das kleine Mädchen ohnehin ein wenig überfordert, bei dem Anblick der vielen Katzen, die ein Zuhause suchten.

 

„Darf ich ihn mal streicheln?“, fragte sie.

 

„Ja klar, aber geh vorsichtig auf ihn zu, damit er nicht erschrickt“, bat die junge Frau. Gehorsam machte Adrienne ein paar langsame Schritte auf Felix zu und ging dann in die Knie, um ihn behutsam zu streicheln. Das gefiel ihm offenbar, denn er begann leise zu schnurren. Adrienne strahlte, drehte sich um und fragte: „Dürfen wir ihn gleich mitnehmen?“

 

Damit war die Sache klar.

 

„Er kann doch Opa Felix heißen“, meinte sie, und Frau Frenzel stimmte ihr gerührt zu. Die kleine Träne, die sich dabei in ihre Augen stahl, wischte sie schnell und entschlossen fort. Dann wurde Felix in die vorsorglich mitgebrachte große Transportbox gesetzt, und nachdem die nötigen Formalitäten erledigt waren, konnten sie sich mit ihm auf den Heimweg machen.

 

„Du kriegst bei Oma Marianne und mir ein schönes Zuhause!“, versprach Adrienne dem neuen Familienmitglied liebevoll. „Und ich habe endlich auch eine Oma und einen Opa“, strahlte sie.