Leseprobe:

 

Nein, meine Katze kriegt Ihr nicht…

 

 Vor neun Monaten, als Jakob mit Tinka, seiner grauen Tigerkatze, von zuhause fortgelaufen war, hatte er das noch für eine gute Idee gehalten. Inzwischen war er sich da keineswegs mehr sicher. Daheim hatte Armut geherrscht und er ahnte, dass seine Eltern über seinen Fortgang gar nicht so traurig waren, also hatte er sich einige Wochen mit Tinka als Erntehelfer durchgeschlagen, aber im Herbst hatte er dann auf diesem großen Schiff angeheuert, und auch Tinka war der Mannschaft zunächst willkommen gewesen. Zu dieser Zeit fuhren auf vielen Schiffen Katzen mit, und die meisten Matrosen liebten sie sogar, was sie trotzdem nicht davon abhielt, sie für schlechte Zeiten auch als „Notration“ zu betrachten. Das hatte Jakob allerdings nicht gewusst, als er das Schiff betrat. Seit Monaten schlug das Wetter Kapriolen und die Lebensmittelvorräte gingen immer mehr zur Neige. Zudem waren sie durch die anhaltenden Stürme von ihrem Kurs abgekommen. Die Seeleute murrten und waren unzufrieden. Einige behaupteten sogar, seitdem Jakob mit Tinka an Bord war, hätten sie beide das Unglück mitgebracht. Daher behielt er Tinka so gut es ging im Auge, bevor sich womöglich einer der Matrosen an ihr vergriff und sie über Bord warf. Es waren alles raue Kerle, seine derzeitigen Kameraden, und Jakob wusste, auf die Dauer war die Seefahrt nichts für ihn, aber erst einmal musste er irgendwo an Land gehen können und bei dem Sturm, der seit Tagen immer noch tobte, war das schlichtweg unmöglich. Wieder einmal kam einer der anderen Seeleute mit drohendem Blick auf ihn zu und wollte, dass er ihm Tinka überlassen sollte. Was er mit ihr vorhatte, wusste Jakob nur zu gut – leider!

 

Schließlich wurde es ganz arg, und die Feindseligkeiten gegenüber Tinka und Jakob brachen ganz offen aus. Tagelang hatten die Matrosen nun schon nichts anderes mehr zu essen  bekommen als steinharten Schiffszwieback und so kam einer auf die Idee, man könnte doch Tinka…

 

„Nein“, schrie Jakob und warf sich schützend vor seine Katze. Er nahm sie auf den Arm und schrie: „Niemals lasse ich es zu, dass einer von Euch Tinka etwas tut, lieber lasse ich mich von Euch aufessen!“

 

„Na, na Junge, willst Du wirklich, dass wir alle verhungern?“, schaltete sich der Kapitän ein.

 

Jakob wurde blass, als er sah, dass es der Mannschaft offenbar durchaus erst damit war, dass er Tinka opfern sollte.

 

„Zwei Tage lang halten wir eventuell noch aus, aber dann kann ich für nichts mehr garantieren, da hilft nichts“, sagte der Kapitän noch einmal, und an dem Abend weinte Jakob sich in den Schlaf, während er Tinka fest an sich gepresst hielt.

 

„Lieber springe ich mit Dir zusammen ins Meer, als das ich zulasse dass Dir jemand etwas tut“, versprach er ihr. Obwohl er genau wusste, dass sie beide das in dem Fall nicht überleben würden.

 

Dann war die Schonfrist vorbei und der zweite Tag brach an. Jakob traute sich kaum an Deck, weil er wusste, die anderen warteten nur auf ihn und seine Tinka. Irgendwann entwischte sie ihm aber doch und lief nach oben, und Jakob rannte ihr verzweifelt rufend nach. Als er an Deck taumelte, hielt bereits einer der Matrosen Tinka fest und wollte gerade mit ihr verschwinden, als aus dem Mastkorb der laute Ruf „Laaand in Sicht“ erscholl. Jakob ging so schnell er nur konnte zu dem Matrosen und entriss ihm die strampelnde Tinka. Noch einmal ertönte der erlösende Ruf „Land in Sicht“ und alle waren aufgeregt. Land bedeutete in der Regel Menschen und das hieß auch Wasser und Nahrung. Jetzt wurde es lebendig auf dem Schiff und Jakob brachte Tinka schnell wieder nach unten und sperrte sie in ihre Kiste. Er wusste, auch er wurde jetzt gebraucht, und alle hatten jetzt etwas anderes zu bedenken als sich um Tinka zu kümmern. Gott sei Dank, dachte er. Offenbar waren seine verzweifelten Gebete erhört worden. Und tatsächlich, es dauerte nicht lange, da kam die kleine Insel für alle Matrosen in Sicht. Der Kapitän gab sofort Order darauf zuzusteuern. Und die Bewohner der Insel hatten das ankommende Schiff offenbar auch bemerkt, dann Jakob konnte sehen, dass sich einige kleine Boote vom Ufer lösten und ihnen entgegenkamen. Wie es schien, waren es friedliche Leute die dort wohnten. Als die Boote näher kamen, sahen die Matrosen, dass es dunkelhäutige Männer waren, die ihnen da entgegen ruderten. Sie machten einen durchaus freundlichen Eindruck und hatten sogar frische Früchte an Bord. In einen solchen Genuss war die Mannschaft schon seit Monaten nicht mehr gekommen. Einige Boote machten längsseits fest, und mehrere Männer kletterten zu ihnen herauf und hielten jeder ein Netz mit Obst in den Händen. Sie wurden von der ganzen Mannschaft sehr herzlich willkommen geheißen, auch von Jakob. Einer der Männer sprach sogar ein paar Brocken ihrer Sprache. Er erklärte dem Kapitän mit Händen und Füßen, dass öfter schon einige Schiffe, die von ihrem regulären Kurs abgekommen waren, auf ihrer kleinen Insel Zuflucht gesucht und gefunden hatten. Deren Mannschaft war einige Wochen dort geblieben, hatte das Schiff wieder auf Vordermann gebracht, sich mit frischen Lebensmittelvorräten eingedeckt und war dann wieder abgefahren. Für die Inselbewohner war es jedes Mal eine willkommene Abwechslung, wenn Fremde kamen. Sie zeigten dem Steuermann auch den besten Anlegeplatz, und so gingen auch Jakob und Tinka später an Land.

 

Jakob fühlte sich wie im Paradies – hier wollte er mit Tinka bleiben, das stand fest!