Die Jagd nach dem Geschenk

 

„Es ist jedes Jahr das Gleiche, was schenke ich nur meinem Mann?“ stöhnte Wilma.

Ihre Kollegin Marietta nickte verstehend, während sie sich um den Neuzugang im Tierheim kümmerte. Der kleine Hund war von einer Nachbarin seines Herrchens hierhergebracht worden, weil der alte Herr in ein Pflegeheim musste, und dort waren Tiere leider nicht erlaubt.

„Aber er möchte unbedingt, dass sein Sammy in gute Hände kommt, das müssen Sie mir fest versprechen“, hatte sie gesagt, bevor sie sich unter Tränen von Sammy verabschiedet hatte.

Er war ein mittelgroßer Mischling und offenbar sehr gut erzogen, aber seitdem er im Tierheim war, saß er meistens lethargisch in einer Ecke, fraß kaum und trauerte seinem alten Herrchen sichtlich nach.

„Wenn diese Frau so an dem Hund hängt, warum hat sie ihn dann nicht behalten?“, fragte sich Marietta.

Wilma zuckte die Achseln und antwortete: „Keine Ahnung, irgendeinen Grund wird es sicher geben.“

„Hm“, brummte Marietta, aber sie schwieg.

Die Schicksale der Tiere gingen ihr immer nahe, denn viele hatten wirklich Schlimmes hinter sich. Einige waren so verstört, dass sie sehr lange brauchten, um überhaupt vermittelbar zu sein. Marietta befürchtete, dass es Sammy ähnlich gehen würde, denn wenn Besucher ins Tierheim kamen, ließ er sich nur selten blicken, dabei war er ein so hübscher Kerl mit seinem sandfarbenen Fell und den großen braunen Augen.

„Kommst Du heute nach dem Dienst mit in die Stadt?“, erkundigte sich Wilma. „Ich habe wirklich absolut noch keine Idee, was ich meinem Mann schenken kann. Er hat angeblich alles, wünscht sich nie etwas Konkretes und ist rundum zufrieden, wie er sagt.

„Hat er denn kein Hobby?“

„Nein, leider nicht.“

Diese Sorge kannte Marietta zum Glück nicht. Sie lebte allein und wollte es auch nicht anders. Seit einer großen Enttäuschung hatte sie mit dem Thema Männer vorerst abgeschlossen, und durch ihren großen Freundeskreis fühlte sich nur selten einsam. Aber sie verstand Wilma und versprach, nach der Arbeit mit ihr in die Stadt zu gehen. Vielleicht würden sie ja gemeinsam fündig und selbst wenn nicht, konnten sie über den Weihnachtsmarkt bummeln und sich so ein wenig Weihnachtsstimmung holen. Gleich nach Feierabend zogen sie los. Nachdem sie in etlichen Läden gewesen waren, gönnten sie sich eine Pause und bummelten über den Weihnachtsmarkt. Das Besondere an diesem Markt war die Tatsache, dass die Stände wöchentlich wechselten und es somit immer andere weihnachtliche Angebote gab. Wilma kaufte sich ein Windlicht, und Marietta erstand eine kleine getöpferte Figur, die sie an Sammy erinnerte.

Dann verließen sie den Markt, um beim Italiener zum Abschluss des Tages eine Pizza zu essen. Wilma´s Mann war geschäftlich unterwegs und so hatte sie länger „Ausgang“, wie sie lachend erzählte.

„Ich hab´s“, rief sie plötzlich. „Mein Mann liebt Hunde, aber er hat leider eine Allergie, sonst hätten wir längst einen eigenen Vierbeiner, aber so eine Figur, über die würde er sich bestimmt freuen. Lass uns aufbrechen, vielleicht ist der Töpfer ja noch da und ich kann ihn bitten, mir auch so einen Hund zu machen“, drängte sie.

Sie zahlten und verließen eilig das Lokal. Aber, oh Schreck, als sie erneut auf dem Gelände des Weihnachtsmarktes ankamen, mussten sie feststellen, dass nur noch einige Ess- und Trinkbuden geöffnet hatten. Die Buden mit den kunstgewerblichen Angeboten waren alle schon geschlossen.

„Dann solltest Du gleich morgen noch mal hierher kommen“, schlug Marietta vor. „Notfalls meldest Du Dich krank und kommst erst gegen Mittag. Vor elf Uhr öffnet der Markt ohnehin nicht, das weißt Du doch.“

„So ein Mist, nun hatte ich endlich eine gute Idee und dann sowas“, ärgerte sich Wilma.

Marietta verstand sie nur zu gut. Außerdem kannte sie Wilma, wenn die sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann versuchte sie alles, um das Gewünschte zu erreichen. Sie ahnte schon, was nun auf sie zukommen würde und richtig. Wilma fragte sie rundheraus: „Wenn ich kein Glück habe, würdest Du mir dann die Hundeskulptur abtreten? Ich zahle Dir auch mehr dafür als Du ausgegeben hast.“

Marietta schüttelte den Kopf. „Sei nicht böse, aber an diese kleine Figur habe ich sofort mein Herz verloren, die gebe ich nicht wieder her. Sie erinnert mich total an Sammy, findest Du das nicht auch?“

„Stimmt“, musste Wilma zugeben.

Sie ließ den Kopf hängen, aber sie versuchte nicht weiter Marietta zu überreden, sondern hoffte, den Künstler am nächsten Tag treffen und ihn bitten zu können für sie einen ähnlichen Hund anzufertigen. Ihre Enttäuschung war groß, als sie am nächsten Vormittag an dem Stand eine Dame traf, die dabei war, Wolle und ihre Strickjacken auszupacken. Sie hängte gerade einige Stücke mit sehr ausgefallenen Mustern auf, und bot an, die in jeder gewünschten Größe bis Weihnachten fertigzustellen. Auf Wilma´s Frage wo denn der Töpfer sei, zuckte sie nur die Achseln und sagte: „Da müssen Sie sich bei dem Veranstalter erkundigen. Ab heute gehört der Stand mir.“

Zunächst war Wilma ratlos, aber dann rief sie im Rathaus an und fragte dort, an wen sie sich wenden könne, um die Anschrift des Töpfers zu erhalten. Die Mitarbeiterin der Kulturabteilung gab sich zuerst recht zugeknöpft. Unter Berufung auf den Datenschutz weigerte sie sich strikt  ihr Auskunft zu geben. Als Wilma ihr sagte, es handle sich um ein Geschenk für ihren Ehemann, wurde sie langsam zugänglicher. Das Problem kannte sie offenbar, und am Ende ließ sie sich doch eine Handynummer entlocken.

„Eine konkrete Anschrift habe ich leider nicht“, sagte sie. „Eigentlich ist das unüblich, aber soweit ich mich erinnere ist das ein Freund eines Kollegen, und nur deshalb hat er überhaupt die Erlaubnis bekommen sich an unserem Weihnachtsmarkt zu beteiligen. Die Stände sind heiß begehrt.“

„Oh, ich verstehe. Ist Ihr Kollege zufällig zu sprechen? Vielleicht kann er mir weiterhelfen“, bat Wilma.

„Nein“, bedauerte die Dame, „er hat sich schon in den Weihnachtsurlaub verabschiedet. Soweit ich weiß, fährt er mit seiner Familie jedes Jahr irgendwohin in die Berge, weil sie dort meistens Schnee haben. Es tut mir wirklich leid, aber mehr kann ich Ihnen wirklich nicht sagen.“

„Ich danke Ihnen dennoch für Ihre Bemühungen und wünsche Ihnen ein frohes Fest!“

Mit diesen Worten legte Wilma den Hörer auf. Wenigstens hatte sie den Namen und eine Telefonnummer unter der sie es versuchen konnte. Aber das war ebenfalls eine Einbahnstraße, denn unter der angegebenen Nummer meldete sich nur der Anrufbeantworter und verkündete knapp, dass der Inhaber dieses Anschlusses momentan nicht zu sprechen sei. Man möge es bitte zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal versuchen. Entmutigt gab sie es auf und fuhr zur Arbeit.

„Na, hat es geklappt?“ erkundigte sich Marietta, die gerade wieder versuchte, Sammy ein wenig aufzumuntern. Langsam, sehr langsam schien er ein wenig Vertrauen zu ihr zu fassen, denn wenn sie seinen Zwinger betrat, stand er manchmal auf und wedelte zu ihrer Begrüßung zaghaft mit dem Schwanz. Marietta gewann ihn immer lieber und sobald Besucher kamen, versuchte sie ihnen Sammy vorzustellen, damit er endlich wieder ein Zuhause bekam. Aber bisher hatte das leider nicht funktioniert. Er drückte sich höchstens an sie und senkte das Köpfchen, wenn er fremde Menschen sah.

„Nee“, gab Wilma missmutig Auskunft und erzählte, dass sie nur mit Mühe und Not überhaupt eine Handynummer erhalten hatte.

„Aber der Kerl meldet sich einfach nicht. Ich habe es schon so oft versucht, Du hast es Dir inzwischen nicht anders überlegt oder?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Nein, tut mir leid“, antwortete Marietta.

Sie hatte der Figur des kleinen Hundes zuhause sofort einen Ehrenplatz gegeben und freute sich sehr daran. Indessen rückte der Heilige Abend immer näher. Wilma hatte noch etliche Male versucht den Töpfer zu erreichen, aber es war absolut zwecklos. Sie hatte für ihren Ehemann einige andere Geschenke besorgt, aber „etwas wirklich Originelles ist nicht dabei“, gestand sie Marietta zwei Tage vor dem Fest.

Marietta schluckte, aber sie hatte einen Entschluss gefasst. Sie mochte ihre Kollegin Wilma sehr gern. Daher antwortete sie: „Ich habe mich entschlossen Sammy zu mir zu nehmen. Ich glaube, er kann nicht mehr anderweitig vermittelt werden, und wie Du weißt, ist er in der letzten Zeit in meiner Nähe ein bisschen aufgetaut. Ich habe ihn wirklich sehr liebgewonnen. Und, wenn ich das Original habe, dann kann ich Dir die Kopie abtreten.“

„Wirklich? Das finde ich total großzügig von Dir“, freute sich Wilma. „Ich bin sicher, mein Mann wird sich riesig darüber freuen! Was möchtest Du denn dafür haben?“

Marietta winkte ab. „Nein, das ist ein Freundschaftsdienst, aber gib mir bitte die Telefonnummer des Künstlers. Vielleicht ist er irgendwann doch zu erreichen, und ich kann ihn bitten mir eine neue Figur zu töpfern. Er wird ja wohl nicht gänzlich vom Erdboden verschluckt worden sein.“

Wilma bedankte sich noch einmal überschwänglich bei Marietta. Sie freute sich auch sehr für Sammy, denn ein besseres Zuhause als bei ihrer Freundin konnte er nicht bekommen, das wusste sie.

Am Tag vor dem Weihnachtsfest nahm Marietta Sammy mit nach Hause.  Bis zum Jahresende hatte sie Urlaub und konnte sich ausführlich mit ihm beschäftigen, damit er sich in seinem neuen Zuhause in aller Ruhe eingewöhnen konnte. Als sie am Heiligen Abend neben ihrem kleinen geschmückten Tannenbaum saß und die Kerzen leuchteten, lag Sammy ihr zu Füßen und schnarchte. Er schaute nur kurz hoch, als sie ihn liebevoll streichelte. Sie war zufrieden mit sich, weil sie wusste, sie hatte alles richtig gemacht. Sammy war endlich wieder glücklich, und sie hatte auch Wilma und ihrem Mann eine Weihnachtsfreude bereiten können.

 

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